Ich bin 27 und lost …

Unsere anonyme beziehungsweise-Leserin fühlt sich verloren in der „Generation ahnungslos“, in der alle keinen Plan haben. Wenn es um Beziehung und Familienplanung geht, ist „ahnungslos“ vielleicht der neue Plan?

Es ist manchmal wirklich frustrierend. Da denke ich, ich hätte so viel Zeit und plötzlich drehe ich mich um und bin fast 30. Ja, jetzt schreien vielleicht alle LeserInnen, die vor 1985 geboren sind, laut auf. Natürlich bin ich mit 27 noch jung, dessen bin ich mir absolut bewusst.

Wann ist „später“?

Ich dachte aber trotzdem, dass ich mehr Zeit habe. Dass diese Zeitspanne meines Lebens einfach länger wäre. Mehr Zeit. Zeit, mein Potenzial zu nutzen, meine Fähigkeiten zu schulen. „Das mache ich morgen …“ Wie oft habe ich diesen Satz gesagt! Das Literatur-Studium abgebrochen, weil zu wenig Geld da war. „Das mache ich später …“ Ja später, nur wann ist das?

Wer sagt, dass Kinder das i-Tüpfelchen sein müssen?

Nun sitze ich in einem Büro. Das Sakko und die Anzughose verdecken meine Tattoos und ich fühle mich oft verkleidet. Wie an Karneval – nur ohne den Suff. Ach ja, und ohne das Lachen. Ich denke an meine erste Deutschlehrerin mit ihrer Kurzhaarfrisur und den etwas zu eng beieinander stehenden Augen, wie sie meine Klausuren und Aufsätze las und jedes Mal das Gleiche sagte: „Daraus musst du unbedingt etwas machen!“

Dieses Lob. Engelsgesang ertönte und ich badete in goldenem Licht. Eine klare Vorstellung wurde so schnell in meinen Kopf eingebrannt. Ich konnte nicht einmal blinzeln. Schriftstellerin werden, Bücher schreiben, wie der Meister Stephen King sein. Ich würde studieren, mich den ganzen Tag durch Bücher wälzen und abends eigene Welten erschaffen.

Kein Plan: Die Generation ahnungslos

Ja, das war mein Traum und meine Welt, ein Meer aus Tinte, die Achse ein Stift. Aber dann kam mir leider der müde graue Alltag dazwischen. Aber damit bin ich ja nicht allein. „Generation ahnungslos“, denke ich mir immer, wenn ich mich mit anderen unterhalte. Natürlich nicht alle, das wäre ja furchtbar. Es gibt genügend Leute mit einem Plan und einer Richtung und Zielen. Und das ist auch gut so und es ist wichtig.

Aber ich habe mir oft einfach einen sprechenden Hut gewünscht, den ich mir auf den Kopf ziehen kann und während der muffige Geruch in meine Nase kriecht und ich versuche nicht daran zu denken, wie viele Köpfe mit fettigen Haaren wohl vor mir unter diesem Filz-Teil gesteckt haben, er mit rauer Stimme verkündet, was das Richtige für mich ist. Weil er in meinen Kopf schauen kann. Es heißt ja: Not all those who wander are lost. Nicht alle, die umherstreifen, haben sich verirrt.


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