Du sagtest, du hättest das im Griff …

Nun war es soweit – unser Sohn erblickte das Licht der Welt. Er ist ein Geschenk, das Glück, die Liebe – ein wundervoller Sohn. Ich liebe ihn so sehr. Aber nach der Geburt wurde alles immer schlimmer. Du warst komplett ausgewechselt. Ich sah dich kaum, du lagst die meiste Zeit im Bett oder hast Stunden im Badezimmer verbracht und dich übergeben. Du hast dich wenig gekümmert. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Mir fehlte Schlaf, unser wundervoller Sohn raubte mir jegliche Entspannungsmomente und hatte starke Koliken. Ich stellte mir vor, wie du dich entschliesst, mit deinem Sohn spazieren zu gehen. Den Kinderwagen voller Stolz schiebst und ein glücklicher Vater bist. Mich begehrend vielleicht sogar an deiner Seite, dankbar, dass ich dir dieses Glück geschenkt habe und du es erleben darfst. Ich weinte, sehnte mich danach. Immer und immer wieder. Ich sah Väter mit ihren Kindern – und erlebte das vollkommene Gegenteil. Ich hatte dich und war trotzdem allein.

Ich entschloss mich aus Verzweiflung, deine Eltern anzurufen. Sie setzten sich sofort ins Auto. Als sie ankamen sahen sie ihren Sohn. Vorahnend hatten sie einen Multidrogentest dabei – positiv auf Heroin und Benzodiazpinen. In diesem Moment zerbrach meine Welt. Ich erinnere mich, wie laut ich einfach nur noch geschrien und geweint habe vor Entsetzen. Ich beschimpfte dich gar nicht. Ich war einfach nur noch bodenlos und haltlos aufgeschmissen, verzweifelt, enttäuscht und voller Traurigkeit. Ich verstand nicht, weshalb du uns das antun konntest, aber ich liebte dich und mir war klar: Ich werde dich nicht alleine lassen. Ich werde nicht nur in guten Tagen an deiner Seite sein, sondern auch, wenn du mich am meisten brauchst. Jetzt. Gemeinsam blickten wir nach vorne.

Ärztliche und therapeutische Begleitung schienen anfänglich Erfolg zu versprechen. Es folgte die Diagnose „ADS“, jahrelang unentdeckt, dadurch sollte sich Selbstmedikation durch Drogenkonsum erklären. Zu den Arztterminen begleitete ich dich nicht. Ich vertraute deinen Worten, der Diagnose des Arztes. Du bekamst Medikamente. Medikinet, Ritalin, Modafinil. Jegliches Medikament hast du nur kurze Zeit getestet und immer kamst zum Entschluss, „es wirke nicht adäquat“. Also musste es ein neues Medikament sein. Dann kam die Diagnose „Narkolepsie“. Hier hast du nun Modafinil, Amphetaminsaft, GHB ganz offiziell durch eine ärztliche Verordnung und über das Rezept durch die Krankenkasse bezahlt bekommen. Die Medikamente reihten sich aneinander, die Liste wurde immer länger. Stets gab es einen neuen Grund für ein anderes hartes, wesensveränderndes Mittel.

Es dauerte lange, bis ich eindeutig sah, dass hier eine Suchtverschiebung entstand. Ich konfrontierte dich damit, doch du hast alles abgestritten. Du sagtest, ich würde dir nicht glauben, stände nicht hinter dir, würde dich anzweifeln. Aber ich sah, was passierte. Ich erwischte dich, wie du die Medikation missbraucht und immer schneller verbraucht hast – nicht so wie verordnet. Ich nahm es wahr. Und du sagtest, ich wäre verrückt, sähe die Realität nicht mehr. Ich zerbrach immer und immer mehr, verfiel in eine starke Depression.


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