Du sagtest, du hättest das im Griff …

Unsere anonyme Leserin hätte beinahe ihre Kinder und ihr Leben an die Sucht ihres Partners verloren. Eine erschütternde Geschichte über einen unaufhaltsamen Absturz, der in letzter Sekunde aufgefangen wurde und einen besonders brutalen Fall von psychischer Manipulation und Gaslighting

Da saßt du. Charmant, gutaussehend und witzig. Deine Art dich auszudrücken war anders. Ich hatte gar kein Interesse dich kennenzulernen, aber irgendwie schafftest du es, mich bei Facebook zu finden und Kontakt aufzunehmen. Viele interessante und witzige Gespräche folgten. Nach drei Monaten entschlossen wir uns, unser geplantes Treffen in die Tat umzusetzen. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Du mochtest meinen Sohn, hast mich jeden Tag aufs Neue beeindruckt, mich inspiriert. Mit dir konnte ich träumen, philosophieren und lachen. Wenn wir miteinander schliefen, hatten wir keinen Sex – wir liebten uns. Du hast mich begehrt, mir Aufmerksamkeit, liebevolle Worte, Zuneigung und Verständnis geschenkt. Ich fühlte mich sicher, geborgen und war nach all den Jahren endlich unglaublich glücklich, jemanden gefunden zu haben, der einfach perfekt schien.

Du hast mir von Beginn an offen und ehrlich erzählt, dass du Erfahrungen mit Drogen gesammelt hattest, dies aber mit Therapie und Klinik bewältigen konntest – es im Griff hättest. Ich hatte in meinen damals 22 Jahren keinerlei Erfahrungen gesammelt, was dies betrifft – hatte nie Freunde, die Drogen konsumiert haben. Ich war eine unerfahrene und naive junge Frau, die sich unsterblich in einen wunderschönen und liebevollen Mann verliebte, der vorgab jemand anderes zu sein als er war.

Wir verbrachten fast jeden Tag zusammen, du hast dich liebevoll um mich und meinen Sohn gesorgt, uns zum Lachen gebracht und uns Aufmerksamkeit geschenkt. Mein Sohn lernte, dich zu lieben und du ihn. Schnell entwickelte sich der Wunsch, unser Glück zu erweitern, aus unserer Liebe Leben werden zu lassen und ein Geschwisterchen zu bekommen für den Kleinen.

Unser Wunsch wurde schnell real – nach drei Monaten war ich schwanger. Von nun an sollte sich alles verändern. Ich freute mich, die Schwangerschaft gemeinsam mit dir zu erleben – die Freude, Spannung und Planungen. Von Beginn an fehlte es mir an kleinen Aufmerksamkeiten. Dass du deine Hand auf meinen Bauch legst, mich zu Vorsorgeterminen begleitest, mit mir einkaufst – mit mir planst und Pläne gezielt verfolgst. Okay, viele Männer erleben es so, dass sie in der Schwangerschaft noch keine realistische Vorstellung entwickeln können, wie kurz die Zeit doch eigentlich ist und machen gern etwas „auf den letzten Drücker“. Aber dies war anders. Es fühlte sich komisch an. Ich unternahm Versuche, dich einzubinden, führte Gespräche mit dir. Ich fühlte mich alleine, aufgeschmissen und zurückgelassen. Schwere Wasserkisten und Müllsäcke schleppte ich, während du auf dem Sofa oder Bett lagst. Dein Verhalten war unerklärlich. Ich erkannte dich nicht mehr. Du zogst dich zurück. Dir schien alles egal. Hattest aber auch kurze helle Momente, die mir Hoffnung schenkten. Du verlorst deine Arbeitsstelle. Warst nur noch krank.


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