Du hast noch was, das mir gehört

An jenem Tag besuchte ich, fast schon bei Einbruch der Dunkelheit, einen Ort, den wir im vergangenen Jahr noch zu einem besonderen Anlass gemeinsam besucht hatten. Lange stand ich einfach da und starrte die alte, vom Moos bedeckte Wand an. Dann schloss ich für einen kurzen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffnete, kullerte eine kalte Träne meine Wange herunter. Es fühlte sich nicht an wie ein Geburtstag, aber ich fühlte nicht nichts.

Einen Moment lang dachte ich daran, wie ich damals die Kamera hielt, durch den Sucher blickte und gar nicht mehr wegsehen wollte.

Schönheit hat so viele Gesichter und eines davon durfte ich ganz besonders gut kennenlernen. Nach allem, was Du mir angetan hast, sollte ich längst keinen Gedanken mehr an Dich verlieren. Aber so einfach ist es nicht.

Und dennoch beginne ich allmählich, Abstand zu gewinnen. Die Rückschläge, wenn die Zeit mich mal wieder einholt, sind nicht mehr so schmerzhaft und vor allem nicht mehr so häufig.

Ich sehe Bilder und bin nicht mehr fasziniert. Stattdessen sehe ich – fast schon realistisch – nur noch das Mädchen, dem ich sowohl die schönste, als auch die traurigste Zeit meines Lebens verdanke.

Dann stelle ich mir oftmals die Frage, wieso ich mich habe belügen und betrügen lassen und wie ich zulassen konnte, dass Du meinen Selbstwert in den Abgrund stößt und mit Füßen trittst. Aber woher hätte ich wissen sollen, dass Du zu so etwas imstande wärst?

Ich weiß nicht, ob ich Dich je verstehen werde und ebenso bin ich mir nicht sicher, ob Du jemals nachvollziehen kannst, was ich für Dich, für mich und für uns getan und nicht getan habe, doch ich wage zu behaupten, dass Dich niemals wieder jemand so lieben wird, wie ich damals.

Es gab in den vergangenen Monaten immer wieder Zeiten, in denen Du nur hättest vor meiner Tür stehen müssen und ich hätte keine Sekunde gezögert, sie für Dich zu öffnen. Heute würde ich Dich wortlos ansehen, mich umdrehen und gehen. Oder wäre ich noch immer nicht stark genug dafür? Ich weiß es nicht. Da ist irgendetwas in mir drin, was noch heute Deine Sprache spricht. Irgendetwas, was noch immer Dein Lachen in sich trägt und ganz leise „Ich vermisse Dich auch“ sagt. Eine stille Hoffnung, ein leiser Wunsch.

Zu gerne würde ich Dich einfach aus meinen Gedanken löschen und wieder der glückliche Mensch werden, der ich vorher war. Aber ich schaffe es nicht. Wie ein böser Geist bist Du da, wenn ich abends einschlafe und am Morgen wieder aufwache. Das alles hätte nie zwischen uns passieren dürfen. Es wäre besser für uns beide gewesen. Und ich habe noch so viele Fragen, auf die nur Du eine Antwort weißt. Ich frage mich, ob ich sie eines Tages stellen kann.


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