Die zweite Chance

Immer, wenn er nicht Zuhause war, hat er mit ihr geschrieben. Er hat sich mit ihr getroffen, sie geküsst. Danach noch mehr und intensiver mit ihr geschrieben. Hat ein Wochenende mit ihr verbracht, mich dafür angelogen. Mich getäuscht, wer sie ist. Ich ahnte etwas, bereits lange vor dem Antrag. Eine Woche nach dem Antrag las ich es schwarz auf weiß. Ich bin zerbrochen, als ich die letzten Nachrichten zwischen ihnen las. Sexuelle Phantasien, die sie sich ausgetauscht haben. Vor allem ein Satz, der sich in mir eingebrannt: Sie hätte das Gefühl, ihre BEZIEHUNG geriete irgendwie ins Stocken.

Die Wahrheit hat er mir zunächst nicht gesagt. Die Wahrheit habe ich durch sie alleine herausgefunden. Häppchenweise, über einen langen Zeitraum. Bis er mir schließlich alles erzählt hat. Eine Erklärung hatte er nicht. Er liebt mich, will mich heiraten, das war das einzige, was er mir sagen konnte. Trotzdem hat er mit ihr geschlafen, mit ihr geschrieben (und zwar nicht über das Wetter). Und ich musste ihm erst beibringen, was guter Sex ist. Erfahrung hatte er gleich Null. Obwohl es weh tat, obwohl ich in tausend Stücke zerfallen bin, habe ich ihm eine Chance gegeben. Es fiel mir schwer, was sollte ich nur machen?

Welche Gründe gab es, bei ihm zu bleiben? Er hat mich nach meiner Scheidung aufgebaut, bei ihm hatte ich das Gefühl, endlich wieder eine Person zu sein. Ich musste nicht mehr nur funktionieren, ständig perfekt sein ohne Fehler. Er hat mir gezeigt, dass ich nicht alles alleine machen muss. Er hat mitgeholfen: im Haushalt, beruflich und überhaupt. Ich bin in der Vergangenheit ständig sofort aufgestanden, sobald meine Kids oder auch mein Ex-Mann etwas wollten. Bei ihm musste ich das nicht und es dauerte lange, bis ich lernte, dass ich mich auch mal bedienen lassen durfte. Er hat Lachen in mein Leben gebracht. Wir haben ähnliche Ansichten, das fand ich gut. Obwohl ich fast elf Jahre älter bin, funktionierte es wunderbar. Gerade seine „jugendliche“ Unbeschwertheit tat mir gut. Ich hatte bisher immer alles genau durchdacht, was vernünftig ist und was nicht. Spontan ist nicht unbedingt das, was ich bin. Durch ihn konnte ich Dinge „einfach machen“. Das hat mir meine Freude wiedergegeben. Meine Kinder mögen ihn, das ist ein wichtiger Punkt. Wir sind eine Familie geworden.


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