Blick zurück ohne Zorn

Ich habe nichts mehr von dir. Vielleicht fänden sich unterm Sofa noch Haare von dir. Aber all deine Geschenke und deine Briefe der fünf Jahre, die wir teilten, habe ich verbrannt oder weggeschmissen. Also habe ich nur noch meine Erinnerungen. Und am besten erinnere ich mich an bestimmte Momente und Situationen mit dir, die einzigartig waren und bleiben werden.

Etwa jener Moment, als wir eines nachts oder schon früh am Morgen durch die Straßen der Stadt geschlendert sind und du in einer Seitenstraße einen alten Jaguar entdeckt hast. „Mach ein Foto von mir,“ hast du gesagt, dir die Lederjacke und dein Top ausgezogen und dich ohne Hemmung auf der Motorhaube geräkelt. Ich bin vor Angst fast gestorben. Eine einzige Delle, ein Kratzer, und deine Haftpflichtversicherung hätte dich gegrillt. Aber dich hat das nicht interessiert. Du sahst mich einfach nur verrucht an und ich habe das Bild geschossen.

Oder jener zweite Weihnachtstag vor einigen Jahren, an dem wir zu deinen Eltern eingeladen waren. Es sollte Gans und Knödel und Rotkohl geben, und alles schien perfekt, bis dir deine Eltern morgens schrieben, dass auch zwei Tanten, ein Großelternpaar, beide bereits im Altersheim, und zwei Freundinnen deiner Oma, beide noch rüstig, kommen würden. So ein bisschen Familie und Freunde sei doch schön, schrieb deine Mutter. Diesmal warst du es, die am Telefon vor Schreck fast gestorben ist. Wir haben dann am Nachmittag gemeinsam ein paar Jägermeister getrunken und hatten tatsächlich einen so heiteren Abend, wie wir ihn nie für möglich gehalten hätten.


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