Warum Zuhören oft die beste Hilfe ist

Gut gemeinte Ratschläge sind häufig ungebeten, denn der Problembesitzer braucht eigentlich nur einen guten Zuhörer, weiß Gastautor Roland Kopp-Wichmann

„Warum machst du denn nicht …?“ „Probier doch mal Folgendes …“ „ Mir hat in so einer Situation mal geholfen, dass ich …“

Wer ein Problem schildert, kann sicher sein, dass er gleich die obigen Reaktionen erlebt. Meist mit dem Zusatz, dass das doch ganz einfach sei oder auch schwierig, aber dass man mit der empfohlenen Vorgehensweise bestimmt zum Erfolg käme.

Das ist aber selten.

In den meisten Fällen droht ein verbreitetes aber selten erkannten Dilemma: Hilfe ohne Auftrag.

Wer helfen will, benötigt einen Auftrag

Wenn man jemandem helfen will, braucht man dafür einen expliziten Auftrag. Also etwas in der Art: „Ich weiß da überhaupt nicht weiter, kannst Du mir mal sagen, was du an meiner Stelle tun würdest?“ Das ist ein klarer Auftrag.

In den meisten Problem-Gesprächen schildert aber der eine nur seine Sicht der Dinge und vor allem seine eher unangenehmen Gefühle damit. DAS IST KEIN AUFTRAG!!!

Wenn jemand ein Problem schildert aber keine Hilfe oder gar eine „Lösung“ dazu will – was will er denn dann? Meistens nur zwei Dinge: damit gehört und ernstgenommen werden.

Zuhören ist für manche Menschen schwierig

Wer aufmerksam eigene Gespräche oder die zwischen anderen Menschen verfolgt, kann unschwer feststellen, wie wenig Menschen in Gesprächen zuhören können.

Die Regel ist eher, dass man selbst oder andere einen unterbrechen, um etwas richtigzustellen, zu kritisieren, zu bewerten. Oft merkt man schon am Gesichtsausdruck des anderen dessen geistige Abwesenheit. Auch bei sich selbst kann man feststellen, dass man beim Sprechen des Gegenübers oft nur auf ein Stichwort wartet, um seinen eigenen Gesprächsbeitrag – entweder gleich oder später – anzubringen.

Doch Gespräche zum Austausch von Meinungen und unterschiedlicher Standpunkte sind enorm wichtig – in privaten wie beruflichen Beziehungen. Jeder kennt zum Glück auch Situationen, wo ein anderer tatsächlich zuhört, den Gesprächsfaden aufgreift und vertieft, sich wirklich interessiert. Wie wohltuend, wie bereichernd für beide Seiten – und wie selten.

Welche Fähigkeiten braucht es zum Zuhören?

Aus meiner Sicht sind es acht grundlegende Fähigkeiten:

  1. Die Fähigkeit, die eigene Meinung zurückstellen zu können
    “Also, das sehe ich ganz anders” ist die Lieblingsreplik von Menschen, die zu allem, was jemand sagt, gleich ihre Meinung äußern müssen. Einem Gespräch ist dieser Reflex selten zuträglich. Denn meist bestreitet dann der eine den überwiegenden Teil des Gesprächs, weil der andere sich ärgert und zunehmend verstummt. Oder beide müssen dauernd ihre unterschiedlichen Standpunkte loswerden und kämpfen um die Worthoheit.
    Die Fähigkeit, seine Meinung – zumindest eine Weile – nicht zurückstellen zu können, hängt auch mit der Angewohnheit mancher Menschen zusammen, immer recht haben zu müssen. Sie erleben das Miteinandersprechen dann nicht als eine Gelegenheit, etwas Neues zu erfahren, sondern fühlen sich schnell dominiert. (Das mag etymologisch vom Wortstamm “hören – horchen – gehorchen” herrühren.)
    Wem es schwer fällt, seine Meinung zurückzuhalten, kann dies kommunikativ so lösen, dass er zwar andeutet, anderer Meinung zu sein, sich aber erst mal die Meinung des anderen hören will. Also indem er/sie sagt:
    “Ich bin zwar anderer Meinung, aber mich interessiert, wie Sie zu Ihrem Standpunkt kommen.”
    “Ich finde es zwar falsch, was du sagst, will aber mal hören, wie du das begründest.”
  2. Die Fähigkeit, Unterschiede tolerieren zu können
    In der Regel fühlen wir uns mit Menschen, die recht ähnliche Interessen, Meinungen und Werthaltungen haben, deutlich wohler. Ganz gleich, ob das jetzt politische, religiöse oder kulturelle Überzeugungen sind. Auch Menschen mit dem gleichen Hobby (Hundezucht, Schachspielen oder Fußball) bringen wir erst mal Sympathie entgegen.
    Doch auch hier gilt: Unterschiede beleben das Gespräch und können zum Wissenszuwachs und Erkenntnisgewinn beider beitragen. Wenn zwei Fußballfans über ihren Sport begeistert reden, erfahren sie meist wenig Neues. Das ist in Ordnung. Doch begegnen sich ein begeisterter Fußballer und ein ambitionierter Golfer wird es oft beim Thema “Sport” schnell kritisch, weil beide vehement ihre Sportart verteidigen.
    Auch in der Paarbeziehung ist die Bereitschaft und Fähigkeit, Unterschiede in der Wahrnehmung und Interpretation von Dingen und Ereignissen tolerieren oder ertragen zu können, eine Kernkompetenz in der Beziehungsgestaltung.
  3. Die Fähigkeit, Gefühle und Intuition miteinzubeziehen
    Die Gefühle des anderen wie auch die eigenen Empfindungen während eines Gesprächs sind neben den sachlichen Aspekten wichtige Informationsquellen. Diese angemessen anzusprechen, ist oft hilfreich und für das Gespräch vertiefend.
    Beispiele:
    “Sie schauen ganz interessiert, während ich Ihnen zeige.”
    “Ihre Stimme klingt gedrückt, wenn Sie darüber sprechen.”
    “Sie sehen nachdenklich aus.”
    “Du wirst ganz ganz aufgeregt, wenn du davon erzählst.”
  4. Die Fähigkeit, etwas nicht gleich verstehen müssen
    Wir Menschen sind keine rationalen Wesen. Wir handeln zumeist aus einer bunten Mischung von Motiven, Empfindungen, Ängsten und Erwartungen heraus. Oft wissen wir selbst nicht, warum wir etwas so und so sehen und vertreten.
    Höre ich von meinem Gegenüber öfters Feststellungen wie “Das ist doch völlig unlogisch!” oder “Das verstehe ich nicht, ich würde ganz anders handeln” kann das die Distanz zwischen den Gesprächsteilnehmern verstärken. Das mag für die eigene Abgrenzung wichtig sein, doch zur gegenseitigen Verständigung führt es nicht.
    Sie tun sich leichter, wenn Sie sich erlauben, das Gesagte des anderen nicht gleich verstehen zu müssen. Trotzdem können Sie in Kontakt mit ihm bleiben, indem Sie beispielsweise sagen:
    “Du scheinst selbst noch hin und her gerissen zu sein.”
    “Irgendwie verstehst du selbst noch nicht, warum du so handelst.”
    “Es hört sich für mich widersprüchlich an, aber für dich scheint es doch Sinn zu machen.”
  5. Die Fähigkeit, weiterführende Fragen zu stellen
    Soll aus einem Gespräch nicht nur ein Wiederholen bereits bekannter Inhalte werden, bedarf es interessierter und intelligenter Fragen. Damit sind Fragen gemeint, die der andere nicht sofort beantworten kann, weil er erst nachdenken muss:
    “Was gefällt Ihnen an der Sache so?”
    “Warum haben Sie sich gerade für x entschieden?”
    “Was bedeutet es für Sie, als … zu arbeiten?”
  6. Die Fähigkeit, negative Wertungen zurückzustellen
    Von klein auf werden wir darauf getrimmt, Dinge, Ereignisse, andere Menschen und uns selbst zu bewerten. Gut, richtig, gesund, schlecht, pfui, unbrauchbar usw. In vielen Kontexten sind Bewertungen durchaus sinnvoll. In einem Gespräch sind zu frühe Bewertungen meist Gesprächskiller. Sie bringen den anderen entweder dazu, seinen Standpunkt zu verteidigen und zu rechtfertigen. Oder er zuckt zurück, wird einsilbig und verstummt womöglich ganz.
    Wertungen tragen auch kaum etwas zum Inhalt und zur Erzählweise bei. Denn unser Gesprächspartner will uns ja etwas mitteilen, er hat selten den Wunsch nach einer Bewertung. Zuweilen bringt der Sprechende selbst Bewertungen ein:
    “Das interessiert Sie sicher nicht.”
    “Ich habe da eine Idee – aber die ist sicher unsinnig.”

    Hierzu gehört auch, wenn einem etwas nicht gefällt, nicht gleich gekränkt oder beleidigt zu sein. Das kann fürchterlich schwer sein, weil die eigenen Gefühle einen völlig überfluten können. Doch dann ist es immerhin noch besser, das angemessen zu äußern oder eine kurze Gesprächspause zu vereinbaren.
  7. Die Fähigkeit, möglichst wenig zu unterbrechen
    Viele Gespräche ähneln Wettkämpfen. Wer hat die besseren Argumente, wer kann den anderen übertrumpfen? Das geschieht oft, indem man den anderen unterbricht. Das ist mitunter notwendig und kann belebend wirken, doch oft leidet unter der Hitze des Gefechts der Gesprächsinhalt.
    Damit sich ein Gespräch entwickeln kann – und nicht nur ein Abspulen bekannter Floskeln wird – braucht es Raum und Zeit. Es braucht Pausen, in denen beide das Gesagte und Gehörte verdauen und nachklingen lassen können. Diese Pausen kann der Sprecher nur dann machen, wenn ihm der andere diese Pause auch lässt. Je weniger man den anderen unterbricht, umso ruhiger und tiefer kann ein Gespräch werden.
  8. Die Fähigkeit, auszudrücken, was Sie verstanden haben
    Für einen selbst mag es genügen, nur zuzuhören. Doch der Sprechende weiß erst mal nicht, ob Sie ihm zuhören – vor allem wenn Sie ihn nicht anschauen. Er weiß vor allem nicht, was Sie gehört bzw. was und wie Sie das Gehörte verstanden haben.
    Deshalb ist es wichtig, an bestimmten Punkten dem Sprecher zurückzumelden, dass Sie zuhören – und was Sie verstanden haben. Oft geht es auch ja nicht nur darum, was gesagt wurde, sondern was gemeint wurde. Also jene Anteile des Gehörten wiederzugeben, die der Sprecher aus welchen Gründen auch immer nur angedeutet hat. Dabei handelt es sich oft um Gefühle, Überzeugungen, Werte, Bedürfnisse oder Wünsche. Als Zuhörer können Sie sich fragen:
    Was empfindet mein Gesprächspartner gerade?
    Was ist ihm an dem, was er gerade sagt, so wichtig?
    Worum geht es ihm? Was wünscht er sich?

Der Einstieg für Ihre Rückmeldung könnte heißen:
“Aha, du meinst also …”
“Dir ist also wichtig, dass…”
“Du möchtest gerne …”
“Du bist frustriert, weil…”
“Du denkst … , weil …”

Wenn Ihnen etwas unklar ist, können Sie sagen:
“Könnte es sein, dass …”
“Ist es möglich, dass …”
“Meinen Sie damit, dass …”

Ist Zuhören eine Kunst?

Man möchte es fast meinen, wenn man beobachtet, wie selten das geschieht. Zumindest ist es eine Fähigkeit, die einem nicht in den Schoß fällt und immer noch verbessert und vertieft werden kann.

Probieren Sie es doch mal heute mit jemandem aus.


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