Lieben lässt sich nicht gut allein

Alle sprechen von der Generation Beziehungsunfähig. Klar, wir können alle gut alleine leben, aber lieben lässt sich nicht gut allein. Wir haben die häufigsten Beziehungsverhinderer der aktuellen Debatte gesammelt

1. Kleine Mädchen wollen Prinzessin werden vom Schicksal für Glück und Erfolg ausgewählt, und kleine Jungs wollen es Peter Pan gleichtun und nie Verantwortung übernehmen müssen. Das sind die Gründe, warum sich viele Menschen heute einfach nicht mehr binden können – behaupten vor allem Jene, für die früher alles besser oder zumindest einfacher war.

2. Männer und Frauen stehen heute unter einem solchen Druck, dass sie gar nicht anders können, als permanent sich zu bewähren, zu optimieren und nach Unerreichbarem zum streben. Klar, dass die Wirklichkeit hier nicht mithalten kann und unattraktiv erscheint – argumentieren die Opfer der Generation Single.

3. Ohne Rollenvorbilder intakter Familien haben Kinder aus Scheidungs- und Patchworkfamilien nie die Chance gehabt, einen stabilen Bindungsstil zu erlernen, weshalb sie ein ängstlich-vermeidendes oder gleichgültig-vermeidendes Bindungsverhalten gelernt haben – erklären Experten.

4. Niemand ist mehr verbindlich. Von ihren Helikopter-Eltern wird Kindern keine Rücksicht beigebracht, sie kennen weder Umgangsformen noch müssen sich etwas erarbeiten. Sie wissen gar nicht zu schätzen, wie gut es ihnen geht. Und wenn es mit der Partnersuche nicht klappt, wird ihnen gesagt, sie müssten ja auch erst einmal sich selbst lieben. Egoismus überall – vermuten Soziologen.

5. Das hysterische mediale Dauerfeuer, das aus Promis und Youtube-Stars Beziehungsvorbilder macht, verunsichert Singles so sehr, dass sie denken, alle anderen wären so viel glücklicher als sie. Oder im Umkehrschluss: Jede Beziehung muss scheitern, schließlich schaffen es nicht einmal die idealisierten Stars zusammen zu bleiben – vermuten Medienkritiker.

6. Unser Anspruch an eine Beziehung und an einen Partner ist viel zu hoch. Wir haben aus der Wirtschaftsgemeinschaft Ehe eine Liebesgemeinschaft idealisiert, in der zwei Menschen in allen Lebensbereichen rational und euphorisch, leidenschaftlich und partnerschaftlich miteinander umgehen – das ist gar nicht möglich, sagen manche Paarberater.

7. Treue ist sowieso keine Lösung und der ganze Stress um Sex und Lust, Köperlichkeit und Intimität mit einer einzigen Person, die nun eben nicht für immer gleich attraktiv und anziehend bleiben kann, lässt Paare unter dem Druck einer ausgelebten Sexualität zerbrechen – behaupten einige Evolutionspsychologen.

Und was ist nun richtig? Irgendwie alles?

Ein Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigt: Die meisten Deutschen heiraten heute mit Mitte Dreißig. Vor zwei Jahrzehnten lag das Alter eher Ende 20, Anfang 30. Tatsächlich dauert die Phase der Selbstfindung, des Ausprobierens von Beziehungsmodellen und damit auch die Partnersuche für eine verbindliche Beziehung heute länger. Daraus lässt sich aber wirklich nicht schließen, dass alle 30- bis 40jährigen unfähig wären, eine Beziehung aufzubauen. Viele warten nur sehr lange – beispielsweise bis sie im Beruf eine Position erreicht haben, die eine Familie ernähren kann – und dann stehen tatsächlich die Chancen bei der Partnerwahl nicht mehr so günstig wie Mitte 20, wo sie zwar viel Gelegenheit hatten, aber eben andere Prioritäten.

Wir können heute zwischen verschiedenen Beziehungsmodellen wählen. So viel Verbindlichkeit wie nötig und so viel Freiraum wie möglich, wie die sogenannten Mingles, die eine Art Halbbeziehung führen. Am Ende kommt dabei häufig raus: Einer will mehr, der Andere auch – jedoch mit einer Person, die er aber noch nicht gefunden hat. Aber: All das sind Minderheiten. In Deutschland gibt es eine Menge durchaus glücklicher und zufriedener Singles und vor allem eine große Mehrheit von Singles, die sich nach einer Beziehung sehnt und bereit ist, für diese Kompromisse einzugehen. Die suchen keine Perfektion sondern Ergänzung. Diese Singles sind nicht beziehungsunfähig, ihnen mangelt es vielleicht an Gelegenheiten und vielleicht auch an Optimismus.

Wer Liebe und Partnerschaft realistisch sieht, weiß, dass die Leidenschaft in jeder Beziehung irgendwann der Harmonie weicht und dass deshalb nicht die Partnerschaft schlecht ist, sondern sich nur verändert und lebendige und befriedigende Sexualität wenig mit Quantität, aber viel mit Qualität zu tun hat.

Viele vorgeblich bindungsunfähige Menschen suchen den einen Partner, mit dem sie alles für immer teilen und unternehmen können: Leidenschaft, Freundschaft und Partnerschaft. Sobald es an einer Stelle kriselt, bewerten sie die Beziehung als Fehlinvestition und ziehen sich enttäuscht zurück. Dabei zeigen Langzeitpaare, dass sie eben nicht zusammen geblieben sind, weil sie in allen Bereichen perfekt waren, sondern weil sie gemeinsam auf die unvermeidlichen Veränderungen von außen und innen reagieren konnten. Es gibt keinen Status Quo der Glückseligkeit im Leben, da sich dies immerzu verändert. Es gibt jedoch die Möglichkeit, gemeinsam glücklich durchs Leben zu gehen.

Das ist weniger eine Frage von Beziehungsunfähigkeit als eine Frage von Lebenserfahrung und Reife: Die Fähigkeit Wunsch von Wirklichkeit zu unterscheiden. Wir können alle gut alleine leben, aber lieben lässt sich nicht gut allein.


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