Von der geliebten Ehefrau zur verachteten Hausfrau

Gestern noch heiß begehrte Ehefrau und Geliebte und für ihren Einsatz als Mutter hochverehrte Familienmanagerin, heute reizlose „Nur-Hausfrau“ und vom Mann für ihr lahmes Leben leise verachtet. Wie sich die Rollenverständnisse im Laufe einer langen Ehe dramatisch ändern können – und die Beziehung fast zum Scheitern bringen.

Sabrina und Oliver sind glücklich verheiratet: Körper, Seele, Geist, alles passt. Zumindest 17 Jahre lang war es so, dass sie die gemeinsame Vorstellung über ein harmonisches Familienleben innig zusammengeschweißt hat. Für beide war klar, wie man als Familie am besten lebt, wenn der Vater sehr viel arbeitet und sehr viel verdient und wenig Zeit hat und trotzdem alle auf ihre Kosten kommen sollen, vor allem die Kinder, aber auch das Paar. Die Lösung, um Stress zu vermeiden: Sabrina und Oliver haben sich für die altmodische Rollenverteilung entschieden. Sabrina hat ihren Beruf als Anwältin an den Nagel gehängt, Küche statt Kanzlei. Oliver verdient das Geld, es geht der Familie materiell und ideell ausgezeichnet. Als die Kinder klein waren, hatte Sabrina wirklich viel um die Ohren, schlaflose Nächte, hektische Tage. Aber sie konnte sich das Hausfrauen-Leben versüßen, große Reisen, ausgiebig und teuer shoppen, Hilfe im Haushalt.

Oliver ließ ihr in allem freie Hand, ein Zeichen dafür, dass er den Entschluss von Sabrina wirklich würdigt und sie dafür „belohnen“ will. Schließlich hat sie große Opfer gebracht, denkt Oliver. Er hat sich in eine Karrierefrau verliebt. Sabrina hat sehr gern gearbeitet und sich darüber auch definiert. Kein leichter Schritt, das aufzugeben. Oliver hätte überhaupt keine Lust gehabt, zu Hause bleiben, Kekse backen, auf den
Spielplatz gehen, „Eltern-Gespräche“ führen, beim Basteln im Kindergarten mitmachen und Kartoffelsalat und Frikadellen für das Sommerfest in der Schule vorbereiten. „Ich ziehe meinen Hut vor Sabrina“, das hat Oliver stets gesagt. Dass Sabrina weiterarbeitet, viel arbeitet, wenig arbeiten wäre in ihrem Job nicht gegangen, und eine Nanny die Kinder erzieht, das wollte das Paar auf keinen Fall.

Jetzt sind die Kinder 14 und 16 Jahre alt, prächtig gediehen und gut in der Schule, der Laden läuft von allein. Sabrina hat kaum noch etwas zu tun zu Hause, außer täglich kochen und Familienfeiern zu planen und zum Yoga zu gehen. Das ist die gnadenlose Sicht von Oliver.

Nach und nach hat er gemerkt, dass er komplett genervt und gelangweilt ist von Sabrina. Er findet, es ist höchste Zeit, dass seine Frau wieder rausgeht in die Welt, damit sie etwas Interessanteres zu erzählen hat als Klatsch und Tratsch aus anderen gutsituierten Familien und welchen Mantel sie sich kaufen will. Aber Sabrina denkt nicht daran, sie findet ihr Leben ausgesprochen komfortabel und angenehm. Darüber hinaus erlebt sie ihre Existenz als nützlich, sie hat kein schlechtes Gewissen.


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