Die Folgen von Verlust- und Bindungsangst

Je mehr Beziehungen wir führen, desto mehr Verletzungen erleben wir. Die Folge sind immer mehr Menschen, die unter Symptomen von Verlustangst und Bindungsangst leiden

Wir lernen aus unseren Erfahrungen. Wenn wir Fehler machen, dann wollen wir diese – in den meisten Fällen – nicht noch einmal erleben. Wenn wir verletzt wurden, dann wollen wir eine erneute Verletzung vermeiden. Hierzu entwickeln wir Schutzstrategien, Verhaltensweisen, die verhindern sollen, dass wir uns erneut so schlecht fühlen müssen wie zuvor. Die Angst vor Verletzungen formt unsere Glaubenssätze und aus Angst entstehen Schutzstrategien, um gefährliche Situationen zu vermeiden. Viel Angst bedeutet hohe Vermeidung. Beim Ghosting oder Benching steht die Furcht vor dem direkten Konflikt im Vordergrund. Eine Seite will sich einfach nicht mit den Reaktionen der anderen auseinandersetzen müssen. Konfliktvermeidung aus Furcht – dadurch, dass man verschwindet wie ein Geist.

Dank der vereinfachten Kontaktaufnahme durch Dating-Angebote müssen Singles heute immer weniger Angst vor direkter Zurückweisung haben – sie verlernen dabei aber auch, mit Zurückweisung umzugehen. Nicht wenige Partnersuchende schreiben dann Bücher über die schlimmsten Dates ihres Lebens, die ganz offensichtlich wie traumatische Erfahrungen waren. Wer sich diese schlimmen Erfahrungsberichte ansieht, gewinnt leicht den Eindruck, Partnersuche sei Krieg. Manche Singles stürzen sich deshalb in Selbstoptimierung. Sie versuchen jeden Korb zu vermeiden, indem sie sich zu dem vermeintlichen Traumpartner optimieren, den sie sich selbst wünschen: durch mehr Sport, mehr außergewöhnliche Freizeit-Aktivitäten, mehr Anerkennung …

Hinter der ganzen Selbstoptimierung verbirgt sich ein verletzter Selbstwert, der aber nicht gestärkt, sondern nur neu gestrichen und bemalt wird. Das macht Singles dann so empfänglich für Phänomene wie Love Bombing, ebenfalls ein Warnzeichen in Beziehungsphasen: Wenn ein ebenso unsicherer Mensch, meist mit starken narzisstischen Persönlichkeitsanteilen, sich so sehr um Sie bemüht, dass Sie endlich einen Moment lang ihre Angst vergessen können. Geht die Beziehung dann schief, ist die Verletzung umso tiefer, je euphorischer der Auftakt erschien.


Weitere interessante Beiträge
Weiterlesen

Nicht-Monogamie und Psychotherapie: Warum es oft so schwer ist, faire Beratung zu erhalten 

Psychotherapien können in fast allen Lebenssituationen eine sinnvolle Stütze sein. Sie können auch grundsätzlich zufriedenen Menschen dabei helfen, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, mehr Gelassenheit zu erlernen und stabile Partnerschaften zu führen. Doch was, wenn die eigene Beziehung aus mehr als zwei Personen besteht? Obwohl offene Beziehungen und Polyamorie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, ist sie in psychotherapeutischen Praxen oft noch ein Fremdwort. Oder gar ein Problem.