Sport statt Liebe: Wie meine Sucht meine Beziehung zerstörte

Sucht zerstört Beziehungen. Keine Frage, Sport ist gesund. Doch auch hier macht die Dosis das Gift. Georg Harrell beschreibt, wie das Laufen zur Sucht wurde

Sport ist mir wichtig. Weder will ich fett werden, noch möchte ich zu früh zu auf einen Rollator angewiesen sein. Regelmäßiges Training gehört zu meinem Leben, seit ich ein Teenager bin. Zwei bis drei Mal die Woche, das ist ein ziemlich gewöhnlicher Schnitt, wenn ich mir Freunde ansehe und was ich so im Fitnessstudio oder im Schwimmbad mitbekomme, wenn die bekannten Gesichter grüßen. Das war aber auch schon ganz anders.

Angefangen hat es mit Marathon. Ich hatte Geburtstag, Zeit für Vorsätze, und eine Bekannte erzählte, sie wäre gerade ihren ersten Halbmarathon gelaufen, sie würde jetzt für den Richtigen trainieren und sie fühle sich so super, besser als je zuvor. Da beschloss ich, das mache ich auch. Vielleicht eine frühe Midlife-Crisis. Meine damalige Beziehung war verblüfft, denn sie kannte mich nur Gewichte stemmen, aber wir durchlebten sowieso eine etwas schwierige Phase und ein neues Hobby würde uns vielleicht sogar näher zusammenbringen. Damals ahnten wir noch nicht, wie unglaublich falsch wir damit lagen.

Ich legte los, immer um die Alster rum. Zunächst langsam mit Unterbrechungen, später flotter. Dabei erlebte ich sehr schnell das aufhellende, euphorisierende Gefühl, das Ausdauersportler beschreiben als „Runner’s High“. Mit der passenden Musik auf den Ohren rannte ich nicht, ich flog. Mit mir meine Gedanken. Das machte nicht nur Spaß, das war richtig geil. So gut fühlte ich mich zuhause nicht. Es dauerte nur wenige Wochen und auf die Frage „Wärst du nicht lieber mit mir auf dem Sofa?“, antwortete ich: „Nein.“

Laufen ist evolutionär nicht erfunden, um Einkäufe vom Supermarkt zum Kühlschrank zu tragen. Laufen ist Flucht. Das würde ich aber noch verstehen. Bald lief ich häufiger, drei Mal die Woche. Schließlich vier Mal. Ich kannte nach drei Monaten jeden Strauch und jeden Stein auf der Alsterrunde. Mich grüßten bereits andere Läufer, die ähnliche Trainingszeiten hatten. Ja, ich begann nun, nicht mehr vom Laufen, sondern vom Training zu sprechen. Es dauerte nicht lange und ich trainierte täglich. Morgens klingelte der Wecker und bevor mein Körper – oder meine Beziehung – sagen konnten: „Du spinnst wohl!“, steckte ich bereits in den Laufschuhen und rannte los. Ich wurde auch langsam ungnädig, wurde mein Training in Frage gestellt. Das nahm ich persönlich. So wie der Trinker, der nicht gerne an seine Gewohnheit erinnert wird.

Meine Umgebung fand meine neuen Ambitionen nicht so wahnsinnig toll. Ich wurde nämlich ungesellig. Wer um 5 Uhr 30 aufsteht, geht früh ins Bett, raucht nicht, trinkt nicht und ist ein wandelndes Ernährungslexikon. Das wird man notgedrungen, denn sonst drohen fiese Stoffwechselprobleme auf der Hälfte der Strecke. Darüber wollte sich mit mir – wie überraschend – niemand unterhalten. Nach beinahe einem Jahr nahte der Wettkampf, wie ich meinen ersten Stadtmarathon nannte. Ich hatte mir eine Zeit unter vier Stunden vorgenommen und wusste mittlerweile an meinem Lauftempo auszurechnen, wie lange ich für einen Kilometer und für 10 Kilometer und schließlich für 42 benötigen würde. Das war automatisiert.

Und wie ein Roboter stakste ich in dieser Zeit durch den Tag. Nur wenn ich morgens meine mittlerweile zwei Runden um die Alster bewältigte, fühlte ich mich lebendig. Sah ich nachmittags andere Läufer, sagte ich mir: Statt hier rumzueiern, könntest du doch auch noch eine Runde trainieren. Und nicht selten tat ich das. Zuhause war ich selten. Und wenn, dann bereitete ich mir Protein-Shakes und fiel ins Bett.

Meine Beziehung hatte meine Leidenschaft zunächst unterstützt, nun fühlte sie sich von ihr bedroht. Denn entspannen, gemeinsam etwas unternehmen, all das gab es nicht mehr. Im Nachhinein weiß ich, sie trug den Gedanken der Trennung bereits mit sich. Aber sie wartete meinen ersten „Wettkampf“ ab. Vermutlich hoffte sie, ich würde, wäre erst einmal das Ziel erreicht, nun ablassen von meiner Obsession. Sie kannte aber nicht die Macht der Endorphine und was mein Belohnungssystem zu einem Zieleinlauf sagen würde.


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