Die Philosophie der Liebe

Birgit Ehrenberg ist Philosophin und Literaturwissenschaftlerin und schreibt über die Liebe in Geschichte und Gegenwart. Wir wollten von der Expertin wissen, was sich geändert hat zwischen gestern und heute

Eric Hegmann: Frau Ehrenberg, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Liebe und wissen genau, welche Fragen Singles und Paare heute beschäftigen. Was kann Sie noch überraschen?

Birgit Ehrenberg: Gerade weil ich mich schon so lange mit der Liebe befasse, überrascht und erfreut es mich besonders, wenn ich Singles oder Paare treffe, die ernsthaft wissen wollen, was Liebe eigentlich ist. Kaum einer interessiert sich nämlich wirklich für die Liebe, die meisten interessieren sich nur für ihre eigene Vorstellung von der Liebe, das ist ein grundlegender und folgenreicher Unterschied. Die Liebessuche läuft meistens nach Schema F ab: Jeder trägt eine diffuse oder konkrete Idee von der Liebe in sich und will diese unbedingt verwirklichen. Dann trifft dieser Mensch endlich auf einen anderen – auf den ersten Blick passenden – Menschen. Der hat auch eine Idee von der Liebe im Kopf, mit ziemlicher Sicherheit eine andere. Anstatt sich nahe zu kommen, lieben beide quasi aneinander vorbei. Beispiel: ER sagt prinzipiell nicht gern „Ich liebe Dich“, er mag es einfach nicht, das ist ihm zu banal. Er sagt es auch nicht, wenn er tiefe Gefühle hegt. SIE glaubt: Wer liebt, der sagt es. Und in dem Moment fangen die Dramen an. Der Trick: Man muss der Liebe auf die Spur kommen – jenseits vom mächtig pulsierenden Ego. Ich empfehle immer: Macht Euch über die Liebe schlau, guckt über Euren Tellerrand. Lest „Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm, danach wisst Ihr alles über die Liebe. Wissen über Liebe macht schon mal glücklich.

Wie haben sich die Fragen in den letzten Jahren verändert?

Die Menschen sind unsicherer geworden, was richtig oder falsch ist. Nehmen wir die Treue, ihre Bedeutung wird mehr und mehr in Frage gestellt. Früher war Fremdgehen per se das Schlimmste, was in einer Beziehung geschehen kann, da gab es gar keine Diskussion. Heute werde ich oft fast trotzig gefragt − von Männern wie von Frauen – ob es nicht möglich sei, zwei Menschen oder gar mehr zu begehren, zu lieben, und wie das mit der bestehenden Beziehung zu vereinbaren ist, moralisch und praktisch.

In den revolutionären 60er und 70er Jahren befürchteten viele, die Jugend würde ihre Werte verlieren. Welche Werte und Glaubenssätze sehen Sie heute weit verbreitet?

Ein zentraler Wert in der Gesellschaft ist die Familie. Sie steht ganz oben. Heute wissen die meisten Menschen sehr früh, oft schon vor der Volljährigkeit, dass sie Familie möchten, Ehe, Kinder, Haus und Hof, das ganze Programm. Keiner findet das noch irgendwie spießig, so wie es in den 70er Jahren üblich war. Da wurde die Familie als fiese bürgerliche Fessel verstanden, die es zu sprengen galt. Heute verstehen Frauen wie Männer die Liebe als den Sinn des Lebens, die Ehe und die Familie als die Manifestation dieser Liebe.


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