Vom guten Umgang mit schlechten Gefühlen

Wie beziehungsfähig sind wir eigentlich? Autorin Vivian Dittmar betrachtet, was Beziehungsunfähigkeit ausmacht, warum manche Menschen beziehungsunfähig sind und wie sie das ändern können

Immer mehr Menschen fragen sich, wie beziehungsfähig sie sind. Bei vielen müsste eine ehrliche Antwort lauten: nicht wirklich. Autorin Vivian Dittmar erörterte im ersten Teil die Konfliktfähigkeit, im folgenden zweiten Teil geht es um den Umgang mit schwierigen Gefühlen.

Teil 2: Vom guten Umgang mit schlechten Gefühlen

Irgendwann passiert es in jeder Partnerschaft: eine Kleinigkeit erwischt uns auf dem falschen Fuß. Bevor wir es uns versehen, werden wir von völlig unangemessenen und vor allem extrem unangenehmen Gefühlswogen überflutet. Solche Momente sind gefährlich, denn oft sagen oder tun wir in diesen emotionalen Ausnahmezuständen Dinge, die uns später sehr Leid tun. Dann ist es aber meist zu spät, um sie ungeschehen zu machen. Anders als auf einem Computer lassen sich gesprochene Worten oder gar Taten nicht einfach mit Steuerung-Z löschen. Klar, wir können uns entschuldigen, doch auch das funktioniert in der Regel nur beim ersten oder zweiten Mal. Doch wie können wir gut mit solchen Gefühlswogen umgehen. Und wo kommen sie her?

Der emotionale Rucksack

Jeder Mensch trägt ein gewisses Paket emotionaler Altlasten mit sich herum. Ich nenne das gerne unseren emotionalen Rucksack. Dort speichern wir Erfahrungen, die uns emotional überfordern. Hierbei kann es sich um wirklich traumatische Erfahrungen handeln. Es können aber auch Erlebnisse sein, die für jemand anderen kaum ein Problem dargestellt hätten, für uns aber sehr wohl.
Wenn eine Erfahrung emotional überfordernd ist, brauchen wir die Unterstützung lieber Menschen, um damit umzugehen. Als Kinder haben wir uns diese Unterstützung ganz instinktiv gesucht: wir sind in Mamas Arme oder auf Papas Schoß geflüchtet, wenn die anderen Kinder mal wieder ganz gemein zu uns waren, das geliebte Haustier gestorben ist oder sonst etwas Schlimmes passiert ist. Dort konnten wir — wenn alles gut lief — einfach mal eine Runde weinen oder auch mal Dampf ablassen, und schon bald war die Welt wieder in Ordnung.

Fehlt diese Form von liebevoller Zuwendung, wandert die Erfahrung in unseren emotionalen Rucksack. Dort wartet sie auf eine Gelegenheit, sich zu entladen. Das ist eigentlich eine gute Sache, denn wenn wir schlechte Gefühle zu lange mit uns herumtragen, werden wir früher oder später krank, unglücklich oder beides. Leider entladen sich diese angestauten Gefühle jedoch auf sehr vehemente und eben auch verletzende Art und Weise bei genau den Personen, die wir am meisten lieben. Was eigentlich eine klärende Reinigung sein könnte, kann zu einem ernsthaften Beziehungsproblem führen, wenn wir keinen guten Umgang damit finden.

Gefühl oder Emotion: der kleine, aber feine Unterschied

Ein wichtiger Schlüssel zum Umgang mit diesen emotionalen Siedepunkten ist die Unterscheidung zwischen Gefühlen und Emotionen. Häufig synonym verwendet, setze ich die Begriffe bewusst ein, um zwei sehr unterschiedliche emotionale Phänomene voneinander abzugrenzen. Den Begriff Emotion verwende ich, wie zuvor bereits beschrieben, für emotionale Altlasten. Es handelt sich hierbei also um Gefühle, die in der Vergangenheit eine Überforderung darstellten, so dass wir sie nicht alleine bewältigen konnten und die uns dann in Situationen, die uns mehr oder weniger an damals erinnern, plötzlich überfallen.

Gefühle hingegen verwende ich für jene Regungen, die direkt aus dem Moment heraus entstehen. Im Gegensatz zu einer Emotion haben sie nichts mit vergangenen Erfahrungen zu tun, sondern werden durch meine Interpretation der Situation erzeugt.

Beispiel: Ich bin mit meinem Partner verabredet, und dieser verspätet sich, ohne mir Bescheid zu sagen, was los ist. Das könnte mich schon mal ärgern, weil ich das falsch finde. Ich möchte, dass er mir Bescheid sagt, wenn es später wird. Wenn es sich bei der Wut tatsächlich um ein echtes Gefühl handelt, ohne Emotion, dann werde ich genau so viel davon haben, wie es der Situation angemessen ist. Das bedeutet in dem Fall, dass ich mich genügend ärgere, um meinen Partner anzurufen und zu fragen, was los ist. Es bedeutet jedoch nicht, dass es mir den Rest des Abends verderben wird, dass ich ihn irgendwie anschnauze oder die Beleidigte spiele. Ich werde einfach die Situation klären, und dafür ist Wut im positiven Sinne auch da.

Wenn ich jedoch beim Thema Unpünktlichkeit eine emotionale Ladung in meinem Rucksack mit mir herumschleppe — und das war bei mir lange der Fall — wird die ganze Geschichte anders ablaufen. Die Intensität der ausgelösten Emotionen ist dann so stark, dass wir nicht angemessen mit der Situation umgehen können. Diese Intensität kann sich in einem Wutausbruch äußern, muss sie aber nicht. Genauso kann es passieren, dass wir uns plötzlich ganz taub, depressiv, wertlos oder sonst irgendwie ganz anders fühlen. Fakt ist, wir werden Schwierigkeiten haben, gut mit der Situation umzugehen.

Bewusst entladen lernen

Ein wichtiger Schlüssel, um gut mit diesen Situationen umzugehen, ist das Erlernen bewusster Entladung. Hierbei geht es darum, Strategien zu entwickeln, den Partner eben nicht als emotionalen Mülleimer zu missbrauchen, sondern einen sicheren und gesunden Rahmen für das Entsorgen unserer Altlasten zu schaffen. Frauen machen das oft ganz intuitiv, ohne sich jedoch dessen bewusst zu sein, was sie da eigentlich tun. Sie machen nämlich genau das, was auch ich heute im Fall einer emotionalen Aktivierung mache: sie rufen die beste Freundin an und reden sich den Kummer erst einmal von der Seele.

Wenn es eine gute beste Freundin ist, wird sie uns nicht in unseren übertriebenen Anschuldigungen bestätigen, sondern einfach liebevoll für uns da sein, wie unsere Eltern es als Kinder für uns waren. Nach maximal fünf Minuten — na gut, vielleicht auch mal nach zehn, wenn die Ladung besonders groß war —komme ich wieder zu mir und kann die Welt erneut klar sehen. Ich kann meinen Partner wieder als das wahrnehmen, was er eigentlich ist: ein lieber Mann, der sich vielleicht gelegentlich verspätet, es aber im Grunde genommen wirklich gut mit mir meint.

Nach einem solchen klärenden Gewitter, in dem ich vielleicht alles Mögliche und Unmögliche gesagt habe, das ich schon fünf Minuten später nicht mehr so meine, kann ich dann deutlich sehen, was mein eigentlich Bedürfnis gewesen wäre und wie ich dieses meinem Partner ruhig und klar kommunizieren kann. Ich habe bewusst entladen. Meine Freundin weiß, dass das alles nicht ernst gemeint ist, aber einfach mal raus musste. Mein Partner wüsste das vielleicht auch, für ihn wird es aber deutlich schwieriger sein, es nicht so ernst zu nehmen, wenn ich unfaire Sachen sage.

Vorsicht Giftmüll

Ein unbewusster Umgang mit emotionalen Ladungen ist für eine Partnerschaft enorm gefährlich, und viele Beziehungen gehen tatsächlich daran zugrunde, dass eine Unterscheidung von Emotionen und Gefühlen fehlt. Es ist ganz natürlich, dass jene Menschen, die uns am nächsten stehen, sehr starke Ladungen in uns auslösen. Umso wichtiger ist es, dass wir gerade hier besonders achtsam damit umgehen.

Versäumen wir dies, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wir uns gegenseitig immer häufiger emotional aktivieren. Über kurz oder lang ist der Beziehungsraum dann so vergiftet oder vermint, dass die einfachsten Gespräche zu einem Spießrutenlauf werden. Im Extremfall bleibt dann nur noch die Trennung.

Jedem das Seine

Egal ob es der Ex, der jetzige Partner, der Chef oder das eigene Kind ist, der bei mir einen Knopf drückt und eine Ladung hochgehen lässt, es ist und bleibt meine Ladung. Um gut damit umgehen zu können, ist es unerlässlich, dass ich für diese Ladung Verantwortung übernehme — und die Verantwortung für die Ladungen anderer, die ich vielleicht auslöse, bei ihnen lasse. Beides ist in der Praxis ungeheuer schwierig, am Anfang erscheint es zuweilen sogar unmöglich. Doch wie so oft macht auch hier die Übung den Meister: jedes Mal, wenn es mir gelingt, verantwortungsvoll mit einer Ladung umzugehen, wird es ein bisschen leichter, bis es irgendwann selbstverständlich ist.

Wenn das gelingt, ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg echter Beziehungsfähigkeit geschafft. Dann können auch wirklich schwierige Emotionen in einer Partnerschaft ausgelöst werden, ohne dass dies ein Problem darstellt. Im Gegenteil! Haben beide erst gelernt, was es mit den Gefühlsstürmen auf sich hat und wie gut damit umgegangen werden kann, werden diese Situationen sogar zu Gelegenheiten für einen tieferen Kontakt und eine neue Ebene der Intimität. Wie können einander verletzlich zeigen, mit unseren Schwächen, Ecken und Kanten. Und wir wissen, dass jeder mal Unterstützung braucht, um mit gewissen Situationen klarzukommen.

Beziehungsweise – Beziehung kann man lernen
Vivian Dittmar:
“beziehungsweise – Beziehung kann man lernen”

ISBN: 978-3-940773-77-7
TV, 320 Seiten 17,50 €
Verlag: VCS Dittmar, edition est
auch als E-book erhältlich

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